2010-11-22

Physikalisch isch des oifach omöglich ...



... sagt eine schwäbisch spechende Kröte auf Seite 50 des 46. Bandes der Manga-Reihe Naruto von Masashi Kishimoto. Soviel Realitätssinn überrascht in diesem japanischen Comic der etwas anderen Art.

Einer meiner Tischnachbarn in der Wellness-Klinik, in der ich mich derzeit aufhalte, schwärmte dermaßen von diesen Mangas, dass ich mir eines seiner Paperbacks auslieh. In dem Band eröffnet sich eine bizarre Welt voller schräger Phantasie, Gewalt und Allmachtsvisionen. Eine Bande von Superhelden um den Titelhelden Naruto ("früher berüchtigter Tunichtgut der Ninja-Schule von Konohagakure") kämpft gegen eine Bande von Superschurken, und das schon seit mindestens 46 jeweils 190 Seiten starken Büchern, Ende offen. Angesichts dieser Vorgaben erscheint es glaubwürdig, dass 2002 38% aller Druckwerke japanischer Verlage Mangas waren. Zur Fremdartigkeit dieser Comics ohne jede Komik trägt nicht nur die ungewohnte Leserichtung bei (von der letzten Seite ausgehend arbeitet man sich zur ersten Seite vor, innerhalb einer Seite von rechts nach links und innerhalb einer Zeichnung von der rechten zur linken Sprechblase), sondern auch der Zeichenstil. Lautmalerische Reihungen von Großbuchstaben ("KRRGH", "GRAP, GRAP", ZZZRLT") begleiten Einzelbilder voller Gewalt, Fäuste schnellen, Blitze zucken, Wirbel verschlingen und zum Nachvollziehen des gesamten Handlungsstrangs muss man sich wahrscheinlich durch die vorherigen 45 Bände gequält haben. In solch einem Chaos haben schwäbisch sprechende Kröten sogar etwas Beruhigendes.

2010-11-21

Virtuelle Reisen trotz Datenburka



Seit wenigen Tagen ist Googles Street View als Erweiterung des Google Maps-Dienstes für die zwanzig größten Städte der BRD abrufbar. Es hat schon was, über vertraute Wege der Jugend jetzt virtuell zu reisen, Autobahnauffahrten oder Einbahnstraßen auch mal entgegen der Fahrtrichtung zu befahren oder ohne Gefahr fürs eigene Konto an Ladenpassagen vorbeizuflanieren.

Umso befremdlicher wirken auf mich die Häuserfassaden, die auf Wunsch eines Bewohners oder Besitzers verpixelt wurden; wie ein kariöser abgebrochener Schneidezahn inmitten eines ansonsten makellosen Gebisses. Sind es "paranoide Kleingeister" (Süddeutsche Zeitung, 2010-11-20, S. 13), "Datenschutz-Fundamentalisten", die als Bewohner einer Mietwohnung ihre Mitbewohner in kollektive Datenschutz-Haft nehmen? Die eine Erfassung des öffentlichen Raumes privatisieren? Die damit suggerieren, ihr Haus (oder seine Bewohner?) hätten etwas zu verheimlichen? Vielleicht ist meine Meinung zu unbedarft, aber wenn ein Gebäude sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sehen sollte, möge es sich selbst gegen die Veröffentlichung seiner Fassade zur Wehr setzen.

Das Einstiegsbild zu diesem Beitrag zeigt eine Ansicht des Canal Grande von Canaletto mit einigen verpixelten Gebäuden.

2010-11-06

Parallelwelten

Im Nachbarort findet an diesem Wochenende ein "Forum Gesundheit" statt. Die Stadthalle ist - wie bei Veranstaltungen dieser Art wahrscheinlich üblich - in einer der Etagen mit Infoständen der unterschiedlichsten Anbieter im Gesundheitsmarkt bestückt, während in einer anderen Etage in ihren kleineren Tagungsräumen Fachvorträge gehalten werden.

So referieren Chefärzte der Hochtaunus-Klinik dort über ihre jeweiligen Fachgebiete und geben praktische Lebenshilfen. Auf meine Frage, wie man seine Dienste möglichst vermeiden kann, antwortete so beispielsweise Dr. Hansen (Chefarzt der Orthopädie und Unfallchirurgie) im Frage- & Antwort-Teil seines Vortrags über Geriatrisch-traumatologische Patientenversorgung: "1. Beseitigen Sie Stolperfallen in Ihrer Wohnung. 2. Machen Sie Ihre Nasszellen und glatte Steinböden rutschfest. 3. Räumen Sie Ihre Wohnung so um, dass häufiger benötigte Gegenstände leichter erreichbar sind." Der Tenor seines Vortrags: Die Menschen werden immer älter und bleiben im Alter zunehmend beweglich. Andererseits altert der Körper, jede zweite Frau leidet während ihres Lebens an Osteoporose und das Sturz- und Frakturrisiko nimmt zu. Aber so eine Fraktur ist kein Beinbruch mehr [blödes Wortspiel]: Die Fortschritte in der medizinischen Versorgung haben die perioperative Letalitätsrate (operationsnahe Sterberate) nach einem Oberschenkelhalsbruch innerhalb weniger Jahrzehnte von ca. 35% (1970) auf ca. 7% (2008) senken lassen.

Dr. Höer (Chefarzt Allgemein- und Viszeralmedizin) stellte in seinem Referat über Minimal-invasive Kolon- und Rektum-Chirurgie die enormen Fortschritte vor, die insbesondere im Bereich der "Schlüssellochchirurgie" erlangt wurden. So sinkt beispielsweise der Anteil der Colonkarzinom-Patienten, die nach einer Operation dauerhaft mit einem künstlichen Darmausgang leben müssen, nahezu von Jahr zu Jahr und liegt derzeit deutlich unter 10%.

Wie ärmlich kommen mir neben diesen Berichten über die imposanten und belegbaren Erfolgen der medizinischen Forschung dagegen die "Fachvorträge" mancher Quacksalber vor. "Spirituelle Medizin - energetische Heilung als Ergänzung zur Schulmedizin", "Osteopathie als Teil eines ganzheitlichen Behandlungskonzepts" oder "Reharmony - Bach-Blüten-Harmonisierung nach Reaktionstyp" lauten einige der Titel der Vorträge, in denen auch nicht ein Fitzelchen Fortschritt in der Vergangenheit zu verkünden war. All diesen Pseudo-Therapien ist gemein, dass sie einen wissenschaftlichen Wirksamkeitsbnachweis seit Jahrzehnten schuldig geblieben sind, aber - sorry, der Zusammensetzung der Zuhörerschaft nach zu schließen - insbesondere bei Frauen gut anzukommen scheinen.

Diese zwei Parallelwelten, dieses Nebeneinander von evidenzbasierter Medizin, die nachweisbar dem Patienten hilft, und der Hokuspokus-Pseudomedizin, die nachweisbar nur dem Therapeuten hilft, unter einem gemeinsamen Dach des "Forum Gesundheit" vorzufinden empfinde ich schon als etwas befremdlich.