2012-02-25

Brandgefährlich

Ich bekenne: ich habe soeben auch einen Koran zerstört. Naja, zumindest entfernt. Aber alle 114 Suren! Mit einem Klick auf den "Löschen"-Button in meinem PC. Habe ich jetzt eine Fatwa zu befürchten?

Weil einige Bücher in Bagram verbrannt wurden, sind innerhalb von vier Tagen 20 Menschen getötet worden. 20 Menschen, von denen jeder einzelne wahrscheinlich von seinen Eltern voller Liebe aufgezogen wurde, voller Hoffnung in dieses Leben entlassen wurde und voller Zuversicht begann, sein Dasein zu gestalten. Getötet, alle getötet wegen einiger Bücher.


Zugegeben: Jede bewusste Verbrennung von Büchern, jedes Autodafé soll provozieren. Zu einer Provokation gehören aber immer mindestens zwei Seiten. Weise wäre gewesen, einen - möglicherweise nur unbedachten - Bücherbrand zu ignorieren. Wenn stattdessen Religioten wie ein Mullah Aiyaz Niasi, an die NATO-Soldaten gerichtet, klagt, "Was ihr gemacht habt, ist mit Worten der Entschuldigung nicht wieder gutzumachen", zeugt dies nur von einer intoleranten und inhumanen Grundhaltung. Es zeugt aber auch von einer rückständigen Weltsicht. Eine Ehrerbietung "heiligen Büchern" gegenüber mag zu einer Zeit gerechtfertigt gewesen sein, in der man - wie noch im 18. Jahrhundert im Falle des Koran - kaum wagte, sie zu drucken. Heutzutage, in diesen Zeiten der Massenpublikationen wurden dagegen allein von einem saudiarabischen Verlag mindestens 200 Millionen Exemplare des Koran gedruckt. Wenn einer davon verbrannt wird, ist gleich die islamische Seele im Innersten erschüttert? Liebe Religioten jeglicher Coleur, löst Euch doch mal endlich von Eurem Aberglauben und fangt doch bitte mal an zu denken.

Wir müssen falsche Ideen sterben lassen, bevor Menschen für falsche Ideen sterben.“ (Michael Schmidt-Salomon)

2012-02-19

Vom Aufstieg und Niedergang eines Unternehmens

... am Beispiel der Nordwolle oder, wie sie offiziell firmierte, der Norddeutschen Wollkämmerei & Kammgarnspinnerei A.G..

1884 gründete ein Unternehmer, M. C. L. Lahusen, diese Firma. Die Standortwahl fiel auf Delmenhorst und wurde bestimmt durch die nahe Bahnlinie zwischen Bremen und Oldenburg, durch die Delme, die das Gelände umfloss und damit die Wasserversorgung sicherstellte und die Nähe der bremischen Häfen, über die der Import der Rohwolle und der Export der fertigen Garne kostengünstig erfolgen konnte.

Sein Vater war durch Landerwerb in Südamerika zur Schafzucht gekommen ...


... und damit in den Wollhandel eingestiegen.


Die Rohwolle wurde personalintensiv zunächst nach Qualitäten manuell sortiert, ...


... dann maschinell gewaschen, gekämmt, gesponnen und gefärbt.


Bis 1925 expandierte das Unternehmen so stark , ...


... dass zu Spitzenzeiten ein Viertel aller weltweit gehandelten Wolle von der Nordwolle in Delmenhorst und an weiteren elf Unternehmensstandorten verarbeitet wurde. Diese Expansion erfolgte auf dem Rücken der Arbeiter, die häufig unter falschen Versprechungen aus Osteuropa nach Delmenhorst gelockt wurden, jedoch hier unter sklavenähnlichen Verhältnissen arbeiten und leben mussten. So musste die Tagesschicht 13 Stunden, die Nachtschicht 11 Stunden ohne jegliche Pause arbeiten. Die Arbeiter hatten in den firmeneigenen Wohnstuben zu schlafen und im firmeneigenen Konsumgeschäften ihre Lebensmittel einzukaufen. Die Ausgaben hierfür wurden gleich vom kargen Lohn einbehalten. Neben dem arbeitsfreien Sonntag gab es nur drei Urlaubstage pro Jahr. Trotz des Verbots jeglicher gewerkschaftlicher Organisation kam es 1897 und nochmals 1927 zu Streiks, die allerdings die Arbeitsverhältnisse kaum verbesserten.

Während die Arbeiter in Staub, Lärm und Gestank hinter solchen, seinerzeit noch fensterlosen Fassaden schuften mussten, ...


... gönnte sich die Familie Lahusen am Rande des Firmengeländes eine Villa und einen ausgedehnten Landschaftspark, der nur von Familienmitgliedern betreten werden durfte.


Nach dem Tod M. C. L. Lahusens (1921) trieben seine Söhne innerhalb von zehn Jahren das Unternehmen durch Misswirtschaft, Warenspekulationen und Bilanzfälschungen in den Ruin. 1931 meldete die Nordwolle Konkurs an. Zwar wurden in der Folge kleinere Nachfolgegesellschaften gebildet, die allerdings nach weiteren Wirren und Fusionen 1981 endgültig ihren Betrieb einstellten.

Seitdem wurden einige der Gebäude zu Museen ...


... und Büros umgebaut. Die ehemalige Turbinenhalle ...


... mit ihren Generatoren, ...


... Schalttafeln und ...


... Sammlungen an Werkzeugen und ...


... Zahnrädern ...


... kann heute für Events angemietet werden.

2012-02-17

Delmenhorst

Erstmals war ich am vergangenen Wochenende in Delmenhorst - und angenehm überrascht. Nah genug an Bremen gelegen, um von der Dynamik der Hafemstadt zu profitieren, weit genug inmitten einer ehemaligen Geest- und Marschlandschaft gelegen, um sich eigenständig zu entwickeln. Über die Jahrhunderte wandelte sich der Ort so von einer provinziellen Ackerbürgerstadt zur größten Industriestadt im Nordwesten des Deutschen Reiches im ersten Viertel des vergangenen Jahrhunderts bis hin zu einem modernen Dienstleistungszentrum mit jetzt immerhin rund 80000 Einwohnern.

Verwaltet wird die Kommune von ihrem Rathaus aus, das hier mit der Markthalle, ...


... einem Wasserturm und ...


... Resten von Arkaden (hier von der Delme unterflossen) als ein architektonisches Gesamtkunstwerk der späten Gründerzeit betrachtet wird.


Weitere Zeugnisse der Stadtgeschichte sind im Stadtmuseum ausgestellt.

2012-02-16

100 Mm

100 Megameter (oder 100000 Kilometer) hat mein Wohnmobil bis jetzt innerhalb von knapp vier Jahren zurückgelegt.


Meine erste größere Fahrt nach der portugiesischen Episode offenbarte leider auch diverse Frost- und sonstige Schäden. So waren das Ventil des Küchenspüle-Wasserhahns und der Toilettenspülung defekt und mussten ausgetauscht werden. Dass danach trotzdem kein Wasser floss, war der defekten Wasserpumpe im Frischwassertank geschuldet. Die Brennstoffzelle hatte innerhalb weniger Wochen eine 10Liter-Methanol-Patrone leergelutscht und in elektrischen Strom gewandelt, der in dem sich unbeaufsichtigt eingeschalteten TV-LC-Display in Licht und Wärme überführt wurde. Leider nicht in genügend Wärme, um den defekten Heizstab der elektrischen Wohnraumheizung oder den Störungsbetrieb (und damit Nicht-Betrieb) der Gasheizung wettzumachen. Was fehlt noch an wichtigen Komponenten? Richtig, die Batterie.


Dass das elektronische Außenthermometer permanent -40°C anzeigt, ist neben all dem noch das kleinste Problem ...

2012-02-06

Moin

Wer glaubt, dass dieser Gruß auf die Vormittagsstunden begrenzt sei und hier benutzt wird, weil dieser Blogeintrag in diesen Stunden erstellt wird, geht fehl. Ausgehend von Norddeutschland begrüße ich (Doppelsinn!) die zunehmende Verwendung dieser Anrede auch in den südlicheren Teilen der BRD, unabhängig von der aktuellen Tageszeit. Er stellt für mich eine gelungene Mischung aus einer zugleich informellen wie auch höflichen Begrüßung dar.


Das "Moin" steht für mich auf jeden Fall in einem wohltuenden Gegensatz zum bajuwarischen Imperativ "Grüß Gott!". Meine übliche Reaktion auf den Befehl, ein Fabelwesen zu grüßen, ist ein "Grüß Volker!", getragen von dem Wunsch, im Gegenzug dann doch lieber einen real existierenden Menschen zu grüßen.

Weshalb ich dieses Thema hier überhaupt anspreche? Eine Passauer Rektorin erklärte ihre Schule zur "tschüss-freien Zone" und verbannte norddeutsche Grußformeln. Ihre Motivation, ihre Schulabgänger sollten sich "bei der Jobsuche nicht blamieren", zeugt von einem provinziellen Denken. Sie scheint sich nicht vorstellen zu können, dass ihre Schüler sich bei einem Vorstellungsgespräch außerhalb Bayerns gerade wegen eines gedankenlosen "Grüß Gott!" blamieren könnten ...

2012-02-02

Ad ACTA

Erst durch die massiven Proteste in den letzten Tagen in Polen ...

(Die linke Opposition im Warschauer Parlament protestierte gegen ACTA. Quelle: tagesschau.de)

... wurde ich auf ein Abkommen aufmerksam, mit dem der freie Informationsaustausch im World Wide Web erschwert werden soll. Dieses Abkommen, das Anti-Counterfeiting-Trade-Agreement (ACTA), ist in den letzten fünf Jahren fast komplett unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit erarbeitet worden. Es droht, mit dem Denken von gestern in einer Welt von morgen die Betreiber von Plattformen zum Austausch von webbasierenden Inhalten zu kriminalisieren. Noch scheint es nicht zu spät, durch eine Awareness-Steigerung und mit dem Zeichnen von Petitionen diesen erneuten Versuch einer Internet-Zensur abzuwehren.

Nachtrag (2012-03-07): Eine Petition zur Aussetzung der ACTA-Ratifizierung kann noch bis 2012-03-22 gezeichnet werden.