2009-10-31

Vater Fromm

Angeregt durch meine Tante, einer Dame, die ihren katholischen Glauben noch sehr ernst nimmt, zog es mich heute Mittag nach San Giovanni Rotondo, inmitten der Halbinsel Gargano, dem "Sporn" des italienischen Stiefels. Was diesen Ort für Katholiken so attraktiv macht, war ein gewisser Francesco Forgione. Sein Leben verbrachte er in der Zeit zwischen 1916 und 1968 größtenteils an diesem Ort als Priester und Kapuzinermönch unter dem Künstlernamen Pater Pio. Durch Wunden an Händen und Füßen hatte er von 1918 an den Ruf als "der Stigmatisierte vom Gargano" weg. Dass er sich zeitlebens vehement gegen eine ärztliche Untersuchung seiner Wunden zur Wehr setzte, änderte nichts an der Verehrung, die leichtgläubiges Volk ihm zunehmend entgegenbrachte. Diese Bewunderung nahm nach seinem Tode sogar noch zu.



In der Zwischenzeit ist er "heilig" gesprochen, ist als "San Pio" einer der populärsten "Heiligen" in Italien und in San Giovanni Rotondo sind seine Klosterzelle,



die an ihn gerichteten Bittbriefe (hier hinter Glas nur die Sammlung eines Jahres)



und sein Sarg



Publikumsmagnete. Wer will, kann ihm auch jetzt noch, mehr als vierzig Jahre nach seinem Tod, Briefe und Fotos zukommenlassen ...



Das Sahnehäubchen dieser seltsamen Verehrung sind von ihm benutzte Heftpflaster, die mit Echtheitszertifikat in einer Art Monstranz ausgestellt sind.



Eigentlich schade, dass man auf solche Sekundärreliquien zurückgreift, obwohl man doch in diesem Fall relativ verlässlich seine echten heiligen Knöchelchen zeigen könnte.

Herr Ratzinger hat auch schon das, was von Herrn Forgione übrig blieb, in diesem Jahr besucht. Na, wenn das jetzt hier mal keine Fotomontage ist ...



Was mir sonst noch so vor Ort auffiel? Moderne Kirchenneubauten sind zumindest architektonisch häufig interessant.



Spötter mögen fragen, wo der Unterschied zwischen Priestern und Kranken liegt.



(ohne Worte)

Mein aktueller Übernachtungsplatz liegt am Fuß des Castel del Monte, für mich der Inbegriff einer wehrhaften romanischen Burg. Mehr dazu morgen nach meinem dortigen Besuch ...

Morgenverrichtungen

Kurz vor sieben habe ich mich zu einem sehr erfrischenden Halbbad in die Adria gewagt. In Verbindung mit dem anschließenden heißen Duschen im Wohnmobil eine interessante Kombination ...

Derzeit steht mein zweiter Caffe americano con latte in einer typischen Fernfahrergaststätte vor mir. Vier Männer im fortgeschrittenen Alter füttern die sieben Daddelautomaten rechts vom Eingang, im Fernsehen läuft eine Talkshow, deren Getalke nur gelegentlich vom Mahlwerk des Kaffeeautomaten übertönt wird, und der Wirt bedient auch lustlos. Nur schnell bezahlen und wieder raus auf die Straße ...

2009-10-30

Meeresrauschen

Ungefähr zehn Meter vor mir laufen die Wellen des Adriatischen Meeres auf dem Sandstrand aus. Ihre Kämme brechen sich schon 20 Meter vorher und sorgen für ein unaufhörliches Rauschen, das vom Meereswind zu mir getragen wird. Gelegentlich bricht die Herbstsonne durch und taucht den Strand, den ich für mich alleine zu haben scheine, noch in ein nachmittäglich-warmes Licht.

Ich werde den Rest des Tages hier an der Marina di Chieuti verbringen. War ich überhaupt schon jemals zuvor an der Adria? Meiner Erinnerung nach nicht.

Den Vormittag verbrachte ich in Atri, einem Bergstädtchen mit vorrömischem Siedlungszeugnissen. Welche Gewalt muss jahrhundertelang die Bevölkerung veranlasst haben, die Mühen eines Lebens auf einer Bergkuppe, eingezwängt durch eine Stadtmauer, zu ertragen? Im Dom von Atri (hier ein Blick in den Kreuzgang)



befinden sich bezaubernde Fresken von Andrea Delitio aus dem 15. Jahrhundert. Einige seiner Heiligenfiguren tragen überraschend modern anmutende, zeitlos schöne Antlitze.






Die Sonne verzieht sich jetzt hinter die Wolken und ich mich in mein Wohnmobil.

2009-10-29

Tektonik in den Abruzzen

Nach einer vormittäglichen Motorrädchenfahrt hinauf zur Basilika di San Francesco (die Oberkirche war während eines Gottesdienstes überraschend gut auch von Jungvolk besucht, die Unterkirche und ihre Fresken blieben auch bei Tageslicht schummrig) zog es mich in die Abruzzen. Bei Höhen bis ca 1500 Metern erinnerten sie mich zunächst sowohl von den Bergformen wie auch von der Vegetation her an den Hochschwarzwald. Allerdings sind ihre höchsten Höhen wie der Gran Sasso gerade mal 50 Meter niedriger als die Zugspitze und vergleichbar felsig-kahl.

Am Fuß des Gran Sasso liegt L'Aquila, das auch als Hauptstadt der Abruzzen angesehen wird. Hierher haben mich die zahlreichen Sehenswürdigkeiten gelockt. die seit der Stadtgründung im Mittelalter entstanden sind.

L'Aquila, da war doch noch was? Beispielsweise der G8-Gipfel 2009-06-09, zu dem Berlusconi die Mächtigen dieser Erde eingeladen hatte. Und weshalb gerade hierher? Da war doch noch mehr ... Beispielsweise das Erdbeben 2009-04-06, in dem weite Teile der historischen Innenstadt in Mitleidenschaft gezogen wurden. Heute Nachmittag gelangte ich irgendwie mit meinem Motorrädchen in dieses weiträumig abgesperrte Areal. Eine Geisterstadt, oder eine Dornröschenstadt, entvölkert bis auf einige Feuerwehrleute und Bauarbeiter, die sich um die Gebäudesicherung kümmern.



Fast sämtliche Zugänge sind mit Zäunen blockiert oder durch Polizei- oder Militärposten kontrolliert.



Vor fast jedem Haus liegen Haufen zerbröselten Putzes,



zerbrochener Dachziegel



oder eingestürzter Mauern.



Viele Gebäude sind durch Stützen oder Maueranker, an denen Spanngurte befestigt sind, gesichert, wenn nicht ganze Hausseiten durch abrutschende Wände freigelegt wurden.



Vereinzelt liegen demolierte Autos unter Schuttbergen in den Straßen.



Ganze Straßenzüge sind mit Bauzäunen provisorisch abgetrennt, hinter denen alle Wohnungen leer stehen. Dieser Eindruck der Leere und Hoffnungsarmut wird nicht nur durch offenstehende Haustüren,



sondern auch durch surreal wirkende Straßenzüge ohne parkende Autos (in Italien!) verstärkt.



Streunende Hunde zeugen davon, dass langsam wieder Leben in diese Zone des Desasters einzieht.


Solch ein Ausmaß an Zerstörung habe ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen. Die geschätzte Zahl von über 290 Todesopfern und 17000 Obdachlosen erscheint mit glaubwürdig ... Ein schwacher Trost, dass es ohne Erdbeben unsere Art des Homo sapiens sapiens nicht gäbe.

2009-10-28

Oh, heiliger Franz!

Oberkirche, Unterkirche und Unter-Unterkirche (Krypta) sind im Lauf der Jahrhunderte übereinander getürmt worden



und bilden heutzutage als Einheit die Basilica di San Francesco in Assisi.



Fresken in der Unterkirche zeigen den Gläubigen, wie es nach dem Tode weitergeht,



während Gräber wie das des Francisco



den Ungläubigen zeigen, wie es weitergeht.



Wie in den bisher von mir besuchten gleichartigen Orten wie Lourdes, Fatima oder Altötting säumen auch hier Devotionalienlädchen die Straßen rund um die Hauptkirche.



In dieser Hauptstadt der Bewegung sind, fast wie erwartet, zahlreiche Franziskaner-Mönche in ihren schwarzen, grauen oder braunen Kutten im Straßenbild zu sehen.



Aber Assisi ist nicht nur die Basilika, sondern auch eine Reihe netter Sträßchen



und Stiegen.


Tröstet es mich, dass eine der schönsten Städte, die ich bisher besuchen durfte, nach ihm benannt ist?

Monterchi und Sansepolcro

Meine kleine Unter-Kul-Tour auf den Spuren Piero della Francescas ging mit dem Besuch dieser beiden Orte zuende. In Monterchi ist ein gesamtes Gebäude, die ehemalige Grundschule nur einem einzigen seiner Werke, der Madonna del Parto, gewidmet.



Die Anfahrt gestaltete sich auf dem letzten Kilometer etwas schwierig, da ich durch ein Hinweisschild noch durch enge Innenstadtstraßen auf einer Anhöhe gelockt wurde, während das Museum in der Ebene liegt. Von mir auf diese Unschönheit hingewiesen, meinte die Dame am Museumsempfang, dass sie häufiger darauf angesprochen würde. Irgendjemand in der Stadtverwaltung wolle eben, dass Touristen nicht immer den direkten Weg zum Museum am Stadtrand finden, sondern auch mal das Ortszentrum aufsuchen ... Selbst unmittelbar vor dem Museum (hier links im Bild) weisen noch Schilder nach geradeaus in die Ferne.



In Sansepolcro, seiner Geburtsstadt, sind gleich vier seiner Werke im Stadtmuseum zu bewundern, darunter sein großformatiges Fresko "Die Auferstehung".



Ich finde es faszinierend, wie er sich über die eher schablonenhafte mittelalterliche Malweise, wie sie auch heute noch in der Ikonenmalerei anzutreffen ist, hinweg setzte und phantasievoll und technisch ausgereift seine Bildersprache entwickelte und umsetzte.

Mein nächstes Ziel: Assisi.

2009-10-27

P. d. F.

"Die von P..., in der Kirche [San Francesco] von Arezzo befindlichen, geschaffenen Wandgemälde sind ein musterhaftes Beispiel von Ausgeglichenheit in den Proportionen, der Zurückhaltung, der Ordnung und der Zusammensetzung, allesamt Gegebenheiten, die der große Maler der Renaissance als Grundlage seines künstlerischen Konzepts betrachtete." So werden seine 12 großformatigen Fresken, die alleine in dieser Kirche in langjähriger Arbeit um 1460 entstanden, nicht zu Unrecht in dem Buch "P... d... F... - Sein Leben und die Werke" gelobt (für Rolf: der Gesuchte ist auch als P. d. B. d. F. oder P. d. B. nicht unbekannt). Im Dom von Arezzo



ist ein weiteres seiner Werke, ein eher randständiges Fresko der Heiligen Magdalena, zu sehen.



Auch hier hat P. der Frauengestalt ein zeitlos-schönes, charaktervolles Antlitz gegeben - und dies trotz der für ihn vielleicht typischen Darstellung leicht glubschiger Frauenaugen mit etwas hängenden Lidern ;-)

Bei meinem letzten leider nur eintägigen Aufenthalt in London habe ich es nicht versäumt, in der National Gallery die drei dort ausgestellten Werke aus seiner Meisterhand zu besichtigen.

Na, wie heisst der gesuchte Künstler?


PS: Einige Fotonachträge:

Die Piazza Grande mit Blick auf die Pieve di Santa Maria (links)



und die Piazza Grande in Gegenrichtung



Eines der Wahrzeichen der Stadt, die 1553 gefundene etruskische Chimäre von Arezzo (hier als Kopie, das Original befindet sich in Firenze).

2009-10-26

Stellplatzgegensätze

- Siena versus Arezzo,
- Parkplatz Il Fagiolone versus Via Pierlugi da Palestrina,
- 43`18'56" N/11`19'00" O versus 43`28'19"N/11`53'16" O,
- 20 EUR Stellplatzgebühr versus 0 EUR Stellplatzgebühr,
- verkehrslärmumtoster Platz ("molto rumoroso") versus Stille, vereinzelt unterbrochen durch entferntes Hundegekläffe,
- kein vergleichbares Angebot versus Sitzgruppe in lauschig-schattiger Ecke,
- actionbefrachteter Tag versus Abhängen an einem Ruhetag,
- kein Stellplatzfoto versus Stellplatzfoto,
- Siena versus Arezzo.


Ein fast wolkenloser Himmel lässt die Temperaturen auf 23 Grad C steigen, gelegentlich macht eine kleine Fruchtfliege mir meinen Sauergespritzen streitig und die Süddeutsche Zeitung vom Samstag wird endlich durchgelesen. Fast wie Urlaub ...
 

2009-10-25

Der schönste Platz Italiens

Am "schönsten Platz Italiens" (laut gemeinhin verlässlichem Vis-A-Vis-Reiseführer "Italien") genieße ich gerade eine dünne Pizza zu einem lokationskonform dicken Preis.



Ich bezahle mittelbar auch dafür, einen Stuhl in Anspruch zu nehmen. Die Alternative:



Vom alljährlichen Palio, einem seit über 700 Jahren ausgetragenen lokalen Pferderennen rund um diesen Platz, zeugen jetzt nur die Halterungen für das Zaumzeug.



Hier an der Piazza del Campo in Siena lasse ich einen Tag ausklingen, der dem reichen kulturellen Erbe dieser Stadt gewidmet war: die Kathedrale,



deren schwarz-weiß gestreifte Fassade sich auch im Dominnern fortsetzt,



mit ihrem berühmten Marmorfußboden,



das Johannes-Baptisterium, die Dom-Krypta, das Dom-Museum und zum Abschluss der Aufstieg zur Fassade des unvollendeten Neuen Doms.



Bei diesem Programm habe ich mich auch nicht von dem Text des Flyers abschrecken lassen, der für den Besuch dieser Stätten mit den folgenden Worten zu werben glaubt: "Es wird in der Krypta heruntergekommen: die LoKal, die mehr als sieben Jahrhundert ans Tageslicht erneut kommen. Es wird auch die Kathedrale besuchen, weil sie  das Symbol der Christlichkeit darstellt."

Dazu passt diese Anleitung im Dom: Opferkerzen anzünden für Dummies



"Die Menschen strömen in die Kirchen, solange keine Gottesdienste stattfinden", sagte vor einiger Zeit zutreffend ein evangelischer Landesbischof.


Ich gebe mir noch maximal zwei Tage in der Toskana, bevor ich mich den Abruzzen nähern werde.